Das Schöne tut gut

Wenn das Auge staunt, kann die Seele Trost erfahren

Der Mai gilt allgemein als der schönste Monat des Jahres. Zu keiner anderen Jahreszeit zeigt sich die Verwandlung der Natur so auffallend. Ein unvergleichliches Naturschauspiel, das zu allen Zeiten Menschen verzaubert und Dichter und Kunstschaffende inspiriert hat. Sogar die Namensgeber für den fünften Monat im Jahr könnten nicht besser gewählt sein: Der Fruchtbarkeitsgott Maius und die Schönheitsgöttin Maia haben dem Mai ihre Namen geliehen.

Die Schönheit des Monats Mai ist wie ein Lebenselixier, das nach langen und trüben Wintermonaten neue Energien freisetzt. Das Schöne tut uns einfach gut. Im Ursprung des Wortes hängt schön mit schauen zusammen. Wenn wir etwas „an-sehn-lich“ finden, ist es schön. Und doch ist Schönheit ein vieldeutiger Begriff. Ein bekanntes Sprichwort sagt „Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters“: Was wir als schön empfinden, unterliegt häufig unserem eigenen subjektiven Eindruck. Dem entspricht, dass jede geschichtliche Epoche und jeder Kulturkreis über eigene Schönheitsvorstellungen verfügt. In der antiken Philosophie galt das Schöne als inneres Gut-sein eines Menschen. Diese Auffassung von Schönheit wirkt bis heute nach. Immer noch werden das Gute und das Schöne vielfach als untrennbare Einheit gedacht. So gesehen verweist die Schönheit über sich hinaus, auf etwas Wichtigeres, höher Stehendes.

Diese Vorstellung hat sich im Laufe der Geschichte auch das Christentum zu eigen gemacht und die Verbindung des Schönen mit dem Heiligen vollzogen. Insbesondere in der bildenden Kunst und in der Dichtung wurde aus diesem Bewusstsein heraus das Heilige im Schönen abgebildet und im Schönen das Heilige. Ein gutes Beispiel bietet hier die Verehrung Marias, die nach katholischer Tradition im Marienmonat Mai mit zahlreichen Bräuchen ihren Ausdruck findet. Marienlieder und liturgische Gebete preisen die Mutter Gottes als die „schönste aller Frauen“, als „edle Rose, ganz schön und auserwählt“. Die Schönheit Marias soll auf die Schönheit Gottes, des Schöpfers verweisen.

Den unmittelbarsten Ausdruck von Schönheit sehen jedoch zu allen Zeiten die meisten Menschen in den Erscheinungsweisen der Natur. In der Bibel, insbesondere in den Psalmen und in der Weisheitsliteratur des Alten Testaments, zu der auch das Buch Hiob gehört, steht die Bewunderung der Schönheit der Natur für die Ehrfurcht vor Gott und seiner Schöpfung. Selbst der vom Schicksal geschlagene Hiob muss anerkennen: „Denk daran, hoch sein Werk zu preisen, von dem die Menschen Lieder singen. Alle Welt schaut voll Staunen, von Ferne nur erblickt es der Mensch.“ Vor den Geheimnissen der Schöpfung muss selbst der sonst so aufmüpfige wie redegewandte Hiob kapitulieren. Hier erkennen wir die tiefe Verehrung der Naturordnung, vor deren Undurchschaubarkeit der alttestamentliche Mensch nur in staunender Faszination stehen kann.

Dass das Wunderbare uns alle im Innersten zu berühren vermag, das macht den Wert des Schönen aus. Ähnlich wie Hiob bietet uns die Wahrnehmung des Schönen die Möglichkeit, uns selber nicht immer zu wichtig zu nehmen. Sondern als ein Teil eines größeren Ganzen zu sehen. Dann können viele Sorgen und Nöte, Unsicherheiten und Ängste zumindest für den Moment, in dem wir das Schöne wahrnehmen, in den Hintergrund treten. Das Schöne belebt, indem es unmittelbar unser Herz bewegt und auch in angespannten Zeiten Trost geben kann.

Christine Hober
Quelle: Krankenbrief 05/24, www.krankenbrief.de, In: Pfarrbriefservice.de